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Lerncoaching für die Gymiprüfung

Mit ADHS gut vorbereitet zur Gymi-Prüfung

Dieser Artikel zeigt, wie Kinder mit ADHS optimal auf die Gymiprüfung vorbereitet werden können – mit Informationen zu Herausforderungen, Nachteilsausgleich (ZAP), Lerncoaching und praxisnahen Tipps für Eltern.

von: Sandra Zogg
Die Gymi-Prüfung ist anspruchsvoll und für Kinder mit ADHS oft eine besondere Hürde. Sie müssen in kurzer Zeit komplexe Texte verstehen, Aufsatzaufträge exakt erfüllen und mathematische Textaufgaben lösen, die hohe Konzentration erfordern. Genau hier zeigt sich das Kernproblem: ADHS-Kinder haben kein Wissensdefizit, sondern Mühe mit Struktur, Aufmerksamkeit und Zeitmanagement. Fachleute betonen, dass ADHS nichts mit Intelligenz zu tun hat, denn Jugendliche mit ADHS sind grundsätzlich nicht weniger begabt als andere 1. Die Schwierigkeiten liegen vielmehr in der Selbststeuerung: Betroffene haben Mühe mit der Aufmerksamkeitslenkung, Planung und Organisation 2.

In diesem Artikel geht es darum, warum die Gymi-Vorbereitung oder gar
die Gymi-Prüfung an sich für ADHS-Kinder besonders herausfordernd ist, wie der Nachteilsausgleich in Zürich funktioniert und warum nur mehr Zeit, zumindest aus meiner Sicht, alleine nicht genügt.
Entscheidend sind Strategien, die den Lernalltag erleichtern: eine gute Lernumgebung, klare Strukturen, Pausen, kleine Gesten der Unterstützung. Auch Lerncoaching spielt eine zentrale Rolle, um diese Strategien nachhaltig einzuüben.

ADS, ADHS oder doch ALD(H)S?

ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Es wird als eine neurobiologische Entwicklungsverzögerung definiert, bei der die Aufmerksamkeit schwer steuerbar ist, Impulse schlechter kontrolliert werden können und oft auch ein erhöhter Bewegungsdrang besteht. Typisch sind Schwierigkeiten mit Selbstorganisation, Konzentration und Zeitgefühl – und das unabhängig von der Intelligenz 1.

Unter dem Dachbegriff ADHS gibt es verschiedene Erscheinungsformen:
  • Hyperaktiv-impulsiv: Manche Kinder sind zappelig, reden dazwischen, können kaum stillsitzen.
  • Unaufmerksam (verträumt): Andere wirken eher still und verträumt. Sie vergessen Aufgaben, schweifen innerlich ab, doch im Kopf schwirrt es. (Früher nannte man das ADS)

Manche Fachleute sprechen heute auch von ALD(H)S: Aufmerksamkeitslenkungsdefizit. Der Begriff betont, dass Betroffene sich sehr wohl konzentrieren sowie organisieren können. Nur nicht immer dort, wo es gerade verlangt wird. Sie geraten in den Hyperfokus, wenn sie begeistert sind oder schweifen ab, wenn Routine gefragt ist 2. Ob nun aber ADLHS oder ADHS: Man ist sich einig, dass es nicht die eine Form gibt, sondern sich dies in einem Spektrum zeigt.

Haben immer mehr Kinder ADHS?

ADHS ist in aller Munde. Die Daten zeigen, dass Abklärungen und Behandlungen in der Schweiz seit 2020 deutlich steigen. So nahm die Abgabe von ADHS-Medikamenten seitdem jährlich um 15 –18 % zu 3. Die kantonalen Unterschiede sind markant. In Basel-Stadt werden pro 1000 Einwohner rund 9,1 Tagesdosen ADHS-Medikamente angegeben, im Tessin nur 1,3. Also etwa siebenmal weniger 4. Zürich liegt über dem Schweizer Durchschnitt, also im oberen Bereich der Deutschschweiz.

Gibt es im Tessin also siebenmal weniger ADHSler? Wohl kaum.

Warum also diese Unterschiede?

  • Mentalität & Gesellschaft: Im Tessin gilt ein lebhafter, zappeliger Junge oft als normal. In Zürich wird dasselbe Verhalten schneller als behandlungsbedürftig eingestuft.

  • Bildungswesen & Leistungsdruck: Das Tessiner Schulsystem setzt stärker auf Integration und spätere Selektion. In Zürich geraten Kinder früher unter Druck.

  • Versorgung & Fachkräfte: In Zürich gibt es mehr spezialisierte Stellen für Abklärung und Therapie. Im Tessin sind Fachärzte rar, Medikamente gelten dort als «letzter Ausweg».

  • Diagnose als Schlüssel: In Zürich ist eine offizielle Diagnose oft Voraussetzung, damit Schulen zusätzliche Ressourcen (Förderlektionen, Heilpädagogik, Klassenassistenz) sprechen können.

  • Wandel im Blick, Stigma ade: Heute verstehen wir ADHS vermehrt als Variante menschlicher Entwicklung. Früher hatten Eltern Angst vor Stigmatisierung. Inzwischen wird eine Diagnose weniger als Makel gesehen, sondern als Chance auf faire Unterstützung. Diversität wird nicht mehr hinter geschlossenen Türen gehalten.

  • Verständnis von Verhalten & Rolle der Erziehung: Früher galt ein impulsives Kind schnell als «undiszipliniert». Heute weiss man, dass Impulskontrolle nicht nur von der inneren Willenskraft abhängt, sondern stark von Gehirnentwicklung und Umfeld. Erziehung kann ADHS nicht verursachen, aber sie wirkt wie ein Verstärker oder Dämpfer. Fehlen Routinen und klare Grenzen, treten Symptome stärker zutage. Ein strukturierter, liebevoll-konsequenter Rahmen hilft dagegen, Impulsivität abzufedern.

Verhalten entsteht also immer im Zusammenspiel von Biologie und Umfeld und nicht allein aus reiner Willenskraft. Besonders eindrücklich wird das meiner Meinung nach durch ein altbekanntes Experiment dargestellt: den Marshmallow-Test.

Impulskontrolle, Beobachtungsaufschub
und der Marshmellow-Test

Der Marshmallow-Test wurde in den 1960er-Jahren von Walter Mischel an der Stanford University entwickelt: Kinder sassen vor einem Marshmallow und hatten die Wahl: entweder essen sie das vorgesetzte Marshmallow sofort oder warten, um später zwei zu bekommen. In frühen Auswertungen zeigte sich, dass Kinder, die warten konnten, später oft mehr schulischen und beruflichen Erfolg hatten. Mischel fand, dass die Kinder mit genug Willenskraft, auf den zweiten Marshmallow zu warten, Jahre später teils höhere Schulleistungen und bessere soziale Kompetenzen zeigten als die ungeduldigen Kinder.

Neue Studien relativieren das jedoch. Sobald soziale Herkunft, Armut und die Verlässlichkeit des Umfelds berücksichtigt werden, wird der Zusammenhang viel schwächer 5. Kinder, die gelernt haben, dass Versprechen eingehalten werden, warten eher ab. Kinder aus weniger stabilen Umfeldern greifen schneller zu. Nicht aus fehlender Disziplin, sondern weil sie gute Gründe haben, der späteren Belohnung zu misstrauen 5.

Für Kinder mit ADHS ist das Warten aus klaren neurobiologischen Gründen besonders schwer:

  • Anderes Belohnungssystem: Im ADHS-Gehirn wird Dopamin unregelmässig ausgeschüttet. Kurzzeitige Belohnungen wirken stärker. Fachleute nennen das «Delay Aversion» – die Unlust am Warten 6.

  • Später reifender präfrontaler Kortex: Der vordere Stirnbereich, zuständig für Planen und Impulskontrolle, entwickelt sich bei ADHS-Kindern im Schnitt mehrere Jahre später 7.

  • Stress als Verstärker: Unter Druck fällt es noch schwerer, Impulse zu steuern. Stresshormone können die Selbstregulation zusätzlich beeinträchtigen 6.

Kernaussage: ADHS ist keine Frage mangelnder Intelligenz oder Faulheit, sondern eine andere Funktionsweise des Gehirns. Gleichzeitig macht der Marshmallow-Test deutlich, dass auch das Umfeld und die kulturelle Haltung prägen, wie stark Symptome ins Gewicht fallen können.

Digitale Medien & ADHS kritisch eingeordnet

«Mein Kind kann sich beim Gamen stundenlang konzentrieren, aber bei den Hausaufgaben ist nach zehn Minuten die Luft raus.
Manchmal frage ich mich: kann es sein, dass dieser ganze Bildschirmkonsum am Ende sogar für das ADHS verantwortlich ist?» – Elternstimme
Viele Eltern kennen solche Situationen. Kinder und Jugendliche verbringen heute mehr Zeit mit Smartphone, Social Media und Gaming als je zuvor. Die Frage liegt nahe, ob digitale Medien ADHS verursachen.

Die Wissenschaft sagt, dass es Zusammenhänge gibt, aber keine einfache Ursache-Wirkung. Studien zeigen, dass hoher Medienkonsum und ADHS-Symptome oft gemeinsam auftreten. Aber das heisst nicht automatisch, dass Bildschirmzeit ADHS verursacht. Nice to know, vor allem in der heutigen Zeit, Korrelation ≠ Kausalität.

  • Korrelation: Zwei Dinge treten gleichzeitig auf (z.B. viel Bildschirmzeit und mehr ADHS-Symptome).
  • Kausalität: Das eine verursacht das andere. Das konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

Wahrscheinlich ist es ein Wechselspiel. Einerseits kann exzessive Bildschirmzeit Unaufmerksamkeit, Schlafprobleme und Reizüberflutung verstärken. Andererseits fühlen sich Kinder mit ADHS besonders von schnellen Belohnungen und starken Reizen digitaler Medien angezogen und verbringen deshalb oft überdurchschnittlich viel Zeit damit 8.

Tatsächlich fand eine 2-Jahres-Studie mit über 2500 Jugendlichen einen statistisch signifikanten aber nur moderaten Zusammenhang zwischen häufiger Digitalnutzung und späteren ADHS-Symptomen und betont, dass es weiterer Forschung bedarf, um zu klären, ob hier ein kausaler Effekt besteht 9. Gleichzeitig zeigte sich in einer anderen Untersuchung, dass ADHS-Betroffene mit geringer Selbstkontrolle überproportional häufig eine problematische Nutzung von Games, Social Media & Co entwickeln 8. Mit anderen Worten: Bildschirme allein «machen» kein ADHS, können aber Symptome verstärken. Umgekehrt verbringen viel ADHS-Kinder deshalb so viel Zeit vor dem Bildschirm, weil sie dort schnelle Erfolgserlebnisse und intensive Reize finden.

Medikamente, Schlaf und Ernährung

  • Medikamente:  Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin®, Concerta®) oder Amphetaminsalze (Elvanse®) erhöht die Verfügbarkeit von Dopamin und Neuroadrenalin im Gehirn. Sie wirken für einige Stunden, wie Kontaktlinsen, die eine Sehschwäche ausgleichen. Sie heilen ADHS nicht, sondern schaffen ein Zeitfenster, in dem Konzentration und Impulskontrolle leichter fallen 10.

  • Schlaf: Viele ADHS-Kinder schlafen unruhig oder zu wenig. Schlafmangel verstärkt Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Stimmungsschwankungen deutlich. Schlafmangel kann ADHS-Symptome sogar imitieren oder verschlimmern 11. Feste Abendrituale, Bildschirm-Pausen vor dem Schlafengehen und ein ruhiges, vorher gelüftetes Schlafzimmer helfen, die Schlafqualität zu verbessern.

  • Ernährung: Ein stabiler Blutzuckerspiegel unterstützt die Aufmerksamkeit. Regelmässige Mahlzeiten mit Vollkornprodukten, Proteinen und gesunden Fetten (z.B. Omega3 aus Fisch oder Nüssen) können Symptome abmildern. Studien legen nahe, dass ausgewogene Ernährung mit Eiweiss und komplexen Kohlenhydraten hilft, die Energie gleichmässig zu halten 11.

  • Bewegung: Körperliche Aktivität (möglichst an der frischen Luft) wirkt wie ein natürliches Stimulans. Sie erhöht kurzfristig den Dopaminspiegel und verbessert die Stimmung. Darüber hinaus fördert Bewegung die Konzentrationsfähigkeit und reduziert Stress. Tatsächlich führt Sport oft zu besserem Schlaf, was wiederum die ADHS-Symptome verringern kann 1.

Stärken von Kindern mit ADHS

ADHS bedeutet nicht nur Schwierigkeiten, sondern bringt auch Stärken mit sich: Kreativität, Humor, Empathie, Begeisterungsfähigkeit und Hyperfokus. Diese Qualitäten können Kinder enorm weit bringen, auch wenn sie manchmal zur Hürde werden (z.B. Empathie = grössere Stressanfälligkeit).

Ein schönes Beispiel liefert das Kinderbuch «Lotte, träumst du schon wieder?» Von Fabian Grolimund. Es zeigt, dass verträumte Kinder nicht «falsch» sind, sondern wertvolle Stärken mitbringen, die im Schulsystem leicht übersehen werden. Fabian Grolimund & Stefanie Rietzler betonen, dass Eltern die Stärken ihres Kindes bewusst sehen und gleichzeitig passende Strukturen schaffen sollten, damit sie nicht ins Gegenteil kippen 2.

Hyperfokus – wenn Aufmerksamkeit zur Stärke wird

Ein besonderes Phänomen bei ADHS ist der sogenannte Hyperfokus. Damit ist ein Zustand gemeint, in dem sich die Betroffenen extrem stark auf eine Tätigkeit konzentrieren, die sie begeistert. Während sie im Alltag leicht ablenkbar sind, können sie in diesen Momenten die Umgebung komplett ausblenden. Zeit, Hunger oder Geräusche werden kaum wahrgenommen. Manche Kinder vertiefen sich stundenlang in ein Computerspiel, ein Bastelprojekt oder ein Buch.

Aufmerksamkeit vs. Konzentration

  • Aufmerksamkeit beschreibt die Fähigkeit, Reize wahrzunehmen. Bei ADHS oft sehr breit gestreut («alles kommt rein»).
  • Konzentration bedeutet, diese Konzentration gezielt auf eine Sache zu richten und dabei anderes auszublenden.

Bei ADHS ist es schwierig, Aufmerksamkeit willentlich zu lenken. Aber wenn etwas emotional stark interessiert oder Belohnung verspricht, gelingt die Konzentration im Hyperfokus fast mühelos.

Hyperfokus ist also die andere Seite der ADHS-Medaille: Es kann eine Stärke sein, wenn er für Lernen oder kreative Projekte genutzt wird, aber auch eine Herausforderung, wenn Kinder sich darin verlieren und Wichtiges ausblenden.
«Ich sehe oft, dass Kinder nicht weniger begabt sind, sie brauchen nur andere Strukturen. Der Druck macht ihnen mehr zu schaffen als der Stoff selbst.»
Lehrperson

Warum die Gymi-Vorbereitung und die Gymi-Prüfung besonders schwierig sind

Strukturen, Konzentration, Selbstorganisation und Prüfungsdruck: All das fordert Kinder mit ADHS besonders heraus. Viele haben bereits Misserfolge erlebt, was den Druck zusätzlich erhöht. Stress blockiert die Lernfähigkeit.

Die Gymi-Püfung verlangt aus meiner Sicht jedoch genau jene Fähigkeiten, die für ADHS-Kinder die grössten Knacknüsse sind:

  • Deutsch: Enge Schreibaufträge, klar definierte Textsorten und strenge Beurteilungen lassen kaum Spielraum. Wer sich verzettelt oder abschweift, verliert Punkte.

  • Mathematik: Anspruchsvoll formulierte Textaufgaben setzen nicht nur Rechenverständnis voraus, sondern auch hohe sprachliche Präzision, Ausdauer und volle Aufmerksamkeit beim Lesen.

  • Textverständnis: Besonders schwierig ist das «Zwischen-den-Zeilen-lesen». ADHS-Kinder lassen sich leicht vom spannenden Inhalt treiben und übersehen dabei, was genau gefragt ist. Sie antworten auch oft zu wenig ausführlich oder verlieren sich und verlieren so wertvolle Punkte.
«Als Mutter habe ich gelernt: Die Gymi-Prüfung entscheidet nicht, ob mein Kind intelligent ist. Sie zeigt nur, wie es in einem bestimmten System zurecht kommt.»
– Elternstimme
Wichtig: Die Gymi-Prüfung ist nicht der einzige Weg. In der Schweiz stehen viele Türen offen. Sekundarschule mit Übertrittsmöglichkeiten, Berufslehre mit Berufsmaturität, Passerelle oder ein späterer Quereinstieg.

ADHS kommt selten allein

ADHS tritt selten isoliert auf. Studien zeigen, dass bis zu 80 % der betroffenen Kinder zusätzlich eine Lernbeeinträchtigung oder eine weitere Entwicklungsbesonderheit haben 12. Besonders häufig sind:

  • Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS): Schwierigkeiten beim fehlerfreien Schreiben und schnellem Lesen. Texte werden langsamer verstanden, was die Belastung bei Prüfungen stark erhöht.

  • Dyskalkulie: Rechenschwäche, die sich in Verständnisproblemen bei Zahlen und Rechenoperationen zeigt. Betroffene brauchen mehr Zeit für Textaufgaben und verlieren schneller den Überblick.

  • Autismus-Spektrum-Störung (ASS): Betroffene haben oft Mühe mit sozialer Interaktion und sind besonders empfindlich gegenüber Reizen. Eine Gymi-Vorbereitung mit all den Eindrücken und die Prüfungssituation selbst können daher massiv belastend sein.

Diese zusätzlichen Hürden erklären, warum die Gymi-Vorbereitung für viele ADHS-Kinder doppelt anspruchsvoll ist.

Wenn ADHS zur Familiensache wird: ADHS kommt selten allein 2.0

Hat ein Elternteil selbst ein ADHS, liegt das Risiko für die Kinder bei rund 70 – 80 % 13. Das kann Verständnis fördern, aber auch Belastung bringen. Wenn mehrere Familienmitglieder Mühe mit Strukturen haben, wird der Alltag schnell chaotisch. Routinen und klare Abläufe helfen, dass sich die Symptome nicht gegenseitig verstärken. ADHS betrifft aber so oder so die ganze Familie, egal ob mehrere Diagnosen vorliegen oder nicht.
«Kinder mit ADHS brauchen feste Rituale und Pausen. So lernen sie, ihre Aufmerksamkeit gezielt einzusetzen, ohne sich erschöpft zu fühlen.»
Alexandra Wolf, Lerncoach
Auch Geschwister sollten einbezogen werden. Gemeinsame Wochenpläne oder kleine Rituale entlasten alle und verhindern das Gefühl von Ungerechtigkeit. Auch wenn die Gymi-Prüfung nicht der Weg aller Familienmitglieder ist, werden sie dennoch voneinander geprägt und somit sollte auch die ganze Familie berücksichtigt werden.

Nachteilsausgleich bei der Gymiprüfung im Kanton Zürich

Kinder mit einer anerkannten Diagnose (z.B. ADHS, LRS, ASS) haben Anspruch auf Anpassungen im Prüfungsablauf, ohne dass die Anforderungen gesenkt werden.

Meistens sind das bei der Gymi-Prüfung 14.
  • ca. 10 % mehr Zeit pro Prüfungsteil (d.h. etwa 10 Minuten pro Prüfungsstunde)
  • Prüfungen in einem reizärmeren Raum (separates Zimmer mit wenigen Teilnehmenden)
  • Bei LRS kann die Rechtschreibung teilweise anders gerichtet werden.

Wichtig: Das Gesuch muss mit der Anmeldung zur Prüfung und einem aktuellen, anerkannten schulpsychologischen oder fachärztlichen Bericht eingereicht werden. Die Wartelisten für eine Abklärung sind lang. Ich empfehle Ihnen, dies (genug) früh in die Wege zu leiten.

Lerncoaching – warum mehr Zeit alleine nicht reicht

Mehr Prüfungszeit ist gut, aber nur, wenn Kinder wissen, wie sie diese Zeit nutzen können. Ähnlich wie Medikamente verschafft der Nachteilsausgleich ein Zeitfenster, welches aber ohne Strategie wenig bringt.

Erinnern wir uns an den Marshmallow-Test: Selbstkontrolle ist nicht nur Biologie, sondern hängt auch von Vertrauen, Gewohnheit und Kultur ab. Genauso prägen Schlaf, Ernährung, Strukturen und die Haltung der Erwachsenen den Alltag.

Darum ist Lerncoaching oft das fehlende Puzzleteil. Kinder lernen, ihre Aufmerksamkeit zu lenken, Pausen sinnvoll einzubauen und Materialien vorzubereiten. Eltern gewinnen Sicherheit, wie sie ihr Kind unterstützen können, ohne zusätzlichen Druck aufzubauen.
«Die Gymivorbereitung mit einem Kind, das AD(H)S hat, bringt eigene Herausforderungen mit sich – und ebenso viele Chancen. Es geht nicht darum, perfekt zu funktionieren, sondern Wege zu finden, die zum Kind passen.»
– Alexandra Wolf, Lerncoach

Und was können Eltern konkret tun?

Lerncoaching ist ein wichtiger Baustein, aber auch im Alltag zuhause können Eltern viel bewirken. Entscheidend ist nicht, das Kind ständig anzutreiben, sondern Rahmenbedingung zu schaffen, die Konzentration, Struktur und Motivation erleichtern. Kleine Gesten, feste Routinen und eine klare, wohlwollende Begleitung machen den Unterschied.
«Das stärkste Lernmittel ist das Vertrauen in die Zusammenarbeit zwischen Eltern, Kind und Lehrperson. Jede ermutigende Rückmeldung schenkt Motivation und Selbstvertrauen.» – Alexandra Wolf, Lerncoach
10 Dos bei ADHS
Im Folgenden finden Sie 10 erprobte Tipps,
die Sie sofort im Alltag umsetzen können.
  • Frühzeitige Abklärung: Wenn Ihr Kind im März die Prüfung macht und Sie ADHS-Symptome erkennen, zögern Sie nicht. Eine Diagnose öffnet Türen zu Unterstützung und Nachteilsausgleich. (Sie würden Ihrem Kind ja auch nicht die Brille verwehren, wenn es schlecht sieht.)

  • Doppelte Materialien: Schulbücher doppelt anschaffen (Lehrperson anfragen oder im Lernmedien-Shop Zürich kaufen). So ist es nicht schlimm, wenn einmal etwas in der Schule liegenbleibt. Schon manche (Familien-)Krise konnte so abgewandt werden.

  • Bewegung & Fizzle-Tools: Sitzball, Stehpult mit Balance-Board, Knetmasse, … Tools gibt es u.a. im Skills-Box-Shop. Bewegung hilft, überschüssige Energie zu kanalisieren.

  • Wochenstrukturen sichtbar machen: Lieber kurze, tägliche Lerninhalte als Marathon-Sessions. Ein klarer Plan nimmt Druck und schafft Sicherheit. (Siehe unseren Blogartikel zur Selbstorganisation.)

  • Reizarmer Lernort & digitale Hygiene: Ein fester Platz, nur nötige Materialien, analoger Timer, diskrete Loops-Ohrstöpsel. Das Handy gehört im Flugmodus aus dem Blickwinkel. Wie wäre es mit einem Handy-Parkplatz beim Lernen?

  • Lernintervalle & Pausen: Pomodoro-Technik: 20 Minuten Fokus, 5 Minuten Pause. Kleine Etappen verhindern Überforderung und halten die Motivation hoch. Eine Gewichtsdecke zum Schlafen kann auch sehr viel bewirken.

  • Visualisierungen bzw. multisensorisch lernen: Mindmaps, Checklisten, farbige Marker … Tipp: Mal wieder in die Papeterie oder den Kinderbuch-Laden im Niederdörfli gehen und gemeinsam Material aussuchen. Das macht Lernen greifbarer.

  • Eltern als Begleiter: Ruhe ausstrahlen, Prozesslob statt Ergebnislob. Elternseminare von Fabian Grolimund & Stefanie Rietzler geben wertvolle Impulse für den Familienalltag.

  • Lerncoach miteinbeziehen: z.B. Alexandra Wolf, spezialisiert auf ADHS-Strategien. Ein professioneller Aussenblick entlastet auch die Eltern-Kind-Beziehung.

  • Mit Herz begleiten: Kinder brauchen Rückenwind, keine Druckwelle (Grolimund). Kleine Gesten: eine Schale Obst, ein freundlicher Blick, die Lieblingslimo im Kühlschrank zeigen: «Ich sehe dich. Du bist mir wichtig.»

Fazit

Die Gymi-Prüfung ist für Kinder mit ADHS eine besondere Herausforderung. Nicht wegen mangelnder Begabung, sondern wegen Anforderungen an Struktur, Aufmerksamkeit und Zeitmanagement. Strategien wie klare Routine, Pausen Bewegung und ein unterstützendes Umfeld sind entscheidend, damit Kinder ihr Potenzial entfalten können.

Vielleicht sollten wir den Blick weniger darauf richten, dass möglichst viele Kinder den direkten Weg ins Gymnasium schaffen, sondern mehr darauf, jedes Kind dabei zu unterstützen, den Weg zu finden, der für es passt. In der Schweiz stehen viele Türen offen: Gymnasium, Berufslehre mit BMS oder Passerelle und vieles mehr. Jeder Weg kann zum Ziel führen. Oder war nicht ohnehin der Weg das Ziel?

Werfen wir als Abschluss nochmals gemeinsam einen Blick auf den Marshmallow-Test. Ich frage Sie ganz direkt, bitte mit Hand aufs Herz: Was denken Sie, wie würde Ihr Kind beim Test abschneiden?

Also ich persönlich habe drei Kinder.

Jedes von ihnen ist anders.

Meine Vermutung:
Mein ältestes Kind würde geduldig warten,
das zweite das erste Marshmallow sofort schnappen,
.. und das dritte?
Das mag keine Marshmallows.

Doch was ich mir als Mutter für alle drei wünsche, ist, dass sie lernen, nicht abhängig zu sein von vorgegebenen Strukturen. Nicht ewig warten (zu müssen), bis das Marshmallow kommt. Kein schlechtes Gewissen haben (müssen), wenn es schon im Bauch gelandet ist. Und es auch nicht essen (müssen), wenn es gar nicht schmeckt.

Ich wünsche mir, dass meine Kinder selbstbestimmt sich selbst das auftischen können, was zu Ihnen passt. Und davon so viel, wie sie gerade mögen und auch zum Zeitpunkt, der für sie der richtige ist.

Und das wünsche ich auch Ihrem Kind.

Vielleicht konnte dieser Artikel Ihnen dabei eine kleine Unterstützung sein. Ich freue mich darauf, Sie auch mit den nächsten Beiträgen auf dem Weg zur Gymiprüfung begleiten zu dürfen.

Beste Grüsse,
Sandra Zogg
Haben Sie gewusst?
In unseren Vorkursen von Mai bis Juli (5. Klasse oder 1. Sek) und in unserer halbjährigen Gymivorbereitung von September bis März (6. Klasse oder 2./3. Sek) ist – nebst den fachlichen Themen in Deutsch und Mathematik – ein Lerncoaching integriert.
Quellen

[1] helpguide.com – «ADHD in Children: Signs, Symptoms and Help for ADHD in Kids.» (2021). ADHD hat nichts mit Intelligenz oder Talent zu tun; Kinder mit ADHS zeigen oft positive Eigenschaften wie Kreativität und Enthusiasmus

[2] Marah Rikli, Stefanie Rietzler & Fabian Grolimund – «ADHS bei Kindern: Was Eltern wissen müssen.» mal-ehrlich.ch (2023). ADHS wird als Problem der Selbststeuerung beschrieben; Betroffene haben Mühe mit Aufmerksamkeitslenkung, Impulskontrolle sowie Planung und Organisation

[3] Antun Boskovic – «Seit 2020 werden immer mehr ADHS-Medikamente verschreiben.» nau.ch (07.02.2025). Laut Schweizerischem Gesundheitsobservatorium (Oban) lag der jährliche Anstieg verschriebener ADHS-Medikamente bis 2020 unter 10%. Seither beträgt er 15–18% pro Jahr. nau.chnau.ch

[4] Lucien Flur – «Der Ritalin-Graben: Basel verschreibt sieben Mal öfter Medikamente als das Tessin.» Blick und Querverweis Solothurner Zeitung (30.07.2025). Recherchen von CH-Media (https://www.solothurnerzeitung.ch/leben/gesundheit-adhs-diagnosen-unterschiede-zwischen-den-regionen-sind-frappant-so-sieht-es-in-ihrem-kanton-aus-ld.2799835) zeigen ein Nord-Süd-Gefälle: In Basel-Stadt werden 9,1 Tagesdosen pro 1000 Erwachsenen abgegeben, im Tessin 1,3. Und insgesamt stieg die Verschreibung von ADHS-Medikamenten von 2,3 (2013) auf 5,8 (2023) Tagesdosen blick.ch.

[5] Richards Adams – «Famed impulse control ‘marshmallow test‘ fails in new research.» The guardian (01.06.2028). Eine Replikationsstudie von Watts et al. Psychological Science, 2018= fand zwar noch Vorteile für geduldige Kinder, aber diese verschwanden grösstenteils, sobald Familienhintergund und Bildung der Eltern berücksichtigt werden theguardian.com. Frühere Experimente ergaben, dass Kinder in verlässlicher Umgebung im Schnitt viermal länger warten als in unzuverlässiger Umgebung rochester.edurochester.edu.

[6] Claire Eggleston – «ADHD Paralysis: How to overcome it.» Verywell Mind (2023). Das ADHS-Gehirn schüttet Dopamin unregelmässig aus; zukünftige Belohnungen werden dadurch nicht in aktuelle Motivation «übersetzt». Ein Defizit, das als Delay Aversion bezeichnet wird verywellmind.com. Stresshormone können exekutive Funktionen im Präfontalkortex beeinträchtigen und so zielgerichtete Selbstkontrolle schwächen sciencedirect.com.

[7] National Institute of Mental Health (NIMH) – «Brain Matures a Few Years Late in ADHD, But Follows Normal Pattern.» Pressemitteilung (12,11.2007). Eine NIH-Studie (Shaw et al. 2007) zeigte, dass die Hirnreifung bei Jugendlichen mit ADHS im Mittel 3 Jahre verzögert eintritt – besonders in frontalen Kortexregionen, die für Aufmerksamkeit, Planung und Impulskontrolle verantwortlich sind nimh.nih.gov.

[8] Meihui Qiu et al. – «Influences of digital media use on children and adolescents with ADHD during COVID-19 pandemic.» Globalisation and Health 17, 48 (2021). Chinesische Studie mit 192 ADHS-Betroffenen (8-16 Jahren): Die Gruppe mit problematischer Mediennutzung zeigte deutlich schwerere ADHS-Symptome und Selbstregulationsprobleme als jene mit kontrollierter Nutzung globalizationandhealth.biomedcentral.com. Kinder mit geringer Impulskontrolle neigen eher zu exzessiver Bildschirmnutzung.

[9] Adam L. Leventhal et al. – «Association of Digital Media Use With Subsequental Symptoms of ADHD among Adolescents.» JAMA 320(3):255-263 (2018). In einer 24-monatigen-Studie mit 2587 US-Jugendlichen war häufige Nutzung moderner digitaler Medien signifikant, aber moderat mit dem Auftreten von ADHS-Symptomen assoziiert jamanetwork.com. Die Autoren betonen, dass weitere Forschung nötig ist, um eine kausale Wirkung zu prüfen.

[10] NHS Bedfordshire Luton – «Medication for ADHD (attention deficit hyperactivity disorder).» (2022). Stimulanzien wirken schnell und erhöhen die Dopamin- und Noradrenalinspiegel im Gehirn, was Hyperaktivität und Impulsivität reduziert und die Konzentration verbessert bedslutonchildrenshealth.nhs.uk.

[11] Infectopharm – «Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS.» (Wissensportal, 2020). Chronischer Schlafmangel kann ADHS-Symptome verstärken oder sogar imitieren infectopharm.de. Medical News Today – «What are the best diets for ADHD?» (J. Leonard, reviewed 07/2025). Zwar gibt es keine spezielle «ADHS-Diät», doch ausgewogene Mahlzeiten mit Eiweiss und komplexen Kohlenhydraten stabilisieren den Blutzuckerspiegel und können helfen, ADHS-Symptome zu managen medicalnewstoday.com. (Auch Omega3-Fettsäuren und regelmässige, strukturierte Mahlzeiten werden empfohlen.)

[12] Sarah Rilke – «ADHS bei Kindern: Was Eltern wissen müssen.» mal-ehrlich.ch (2023). Laut diversen Studien entwickeln rund 80% der Betroffenen im Laufe der Zeit mindestens eine weitere psychische Störung oder Lernstörung mal-ehrlich.ch. Häufig kommen Lese-Rechtschreib-Schwäche, Rechenschwäche oder Autismus-Spektrum-Störungen begleitend zu ADHS vor.

[13] Johanna Martin, PhD – «Genetic contribution to ADHD,» In: Encyclopedia on Earls Childhood Development (April 2023). Zwillingsstudien zeigen, dass ADHS eine sehr hohe Erblichkeit hat (Schätzungsweise ca. 76 % der Varianz genetisch) child-encyclopedia.com. Wenn ein Elternteil ADHS hat, besteht für das Kind ein deutlich erhöhtes Risiko, ebenfalls ADHS zu entwickeln.

[14] Mittelschul- und Berufsbildungsamt Kanton Zürich – «Nachteilsausgleich auf Sekundarstufe II.» (Zh.ch, abgerufen 2025). Möglich sind formale Massnahmen wie Zeitverlängerung (i.d.R. +10 Minuten pro Prüfungstunde) und separate, reizarme Räume für Prüfungen zh.ch. Die Anforderungen selbst werden nicht reduziert. (Vgl. Zürcher Zentralaufnahmeprüfung ZAP.)
Über uns
  • Wir sind das Kompetenzzentrum für die Gymivorbereitung im Kanton Zürich.
  • Bei uns unterrichten nur ausgebildete Lehrpersonen mit langjähriger Erfahrung rund um den Übertritt.
  • Als kleines Lehrer:innen-Team ist für uns eine enge Betreuung zentral, weshalb wir auch ausserhalb der Kurszeiten für unsere Schüler:innen stets da sind.
  • Struktur und Organisation sind fürs Gymnasium entscheidend – wir geben dies mit auf den Weg.
  • Wir fördern die Selbstständigkeit sowie Eigenverantwortung Ihres Kindes und informieren Sie laufend über dessen Lernstand.
  • Freude und Begeisterung sind uns wichtig.
  • Wir begleiten Ihr Kind nicht nur fachlich, sondern auch mental auf dem Weg zur Gymiprüfung.
Unsere Kursstandorte
Unsere Kursstandorte befinden sich immer an sehr zentralen Lagen, welche ideal mit dem ÖV erreichbar sind. Unsere Schüler und Schülerinnen erwarten moderne Räumlichkeiten, welche mit den neusten Medien ausgestattet sind.
Unser Kursort direkt beim
Zürich Hauptbahnhof
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8090 Zürich
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Bahnhof Stadelhofen
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